Jesus Christus spricht: Das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Lukas 17, 21
Meine längste Freundin, Kathrin, habe ich vor 30 Jahren kennengelernt. Ihre Tante Anneliese gehörte zur Gemeinde und wollte, dass ihre Nichte ein nettes Mädchen kennenlernt, das vielleicht einen positiven Einfluss ausübt. Dafür hatte sie mich auserkoren. Ich schien ihr brav und wohlerzogen genug, um hoffentlich einen guten Einfluss auf ihre Nichte zu nehmen und sie im besten Fall in die Gemeinde zu führen. Um uns „zufällig“ miteinander bekannt zu machen, lud Tante Anneliese die ganze Jugendgruppe unserer Gemeinde und ihre Nichte Kathrin zu sich in den Garten ein. Nach einem kurzen Blick war uns beiden Teenager-Mädels klar: Das wird nix! Wir mochten uns ganz und gar nicht. Ich hielt mich an meine Gemeindefreundinnen und Kathrin saß lange allein am Rand unserer Runde.
Tante Anneliese ließ sich von unserer gegenseitigen Abneigung jedoch nicht entmutigen, sondern initiierte tapfer ein Gespräch zwischen uns, das in weiten Strecken ein Monolog ihrerseits war, dem wir höflich lauschten und ihn hin und wieder mit einem gebrummten „Mmh“ kommentierten. Doch dann fand sie tatsächlich ein Thema, das uns beide interessierte: Musik und vor allem eine bestimmte Band, die wir beide gut fanden. Jetzt wurde es doch noch ein Gespräch zwischen uns und andere Mädchen kamen dazu.
Von nun an trafen wir uns zu viert: Annika, Heidi, Kathrin und ich. Wir schwärmten für diese eine Band und ihre Mitglieder. Wir lasen jeden Zeitungsbericht, tauschten Poster, hörten stundenlang Musik und fuhren gemeinsam auf Konzerte. Während Annika und Heidi sich immer besser mit Kathrin verstanden, blieben Kathrin und ich auf Distanz.
Eines Tages krachte es zwischen Annika und Kathrin. Unser Quartett zerbrach so schnell, wie es sich gefunden hatte. Eines Tages fand ich mich in einem Zweier-Gespräch mit diesem mir so unsympathischen Mädchen wieder. Das erste Mal sprachen wir allein miteinander und teilten etwas von unserem Innersten, denn der Konflikt trieb uns beide um. Ich glaube, in diesem Gespräch wurde uns klar, dass wir Freundinnen waren. Dieses zarte Band hatte sich trotz unserer gegenseitigen Zurückhaltung zwischen uns gesponnen und nun erkannten wir es. Seit diesem Tag waren wir für viele Jahre die engsten und besten Freundinnen und sind bis heute in Kontakt.
Als Jesus gefragt wird, wann das Reich Gottes kommt, antwortet er folgendermaßen: »Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Anzeichen erkennen kann. Man wird auch nicht sagen: ›Schau her, hier ist es!‹, oder: ›Dort ist es!‹ Nein, das Reich Gottes ist schon da – mitten unter euch.« (Lk 17,20-21)
Das Reich Gottes ist schon da – mitten unter euch. Unbemerkt hat es Raum genommen, unentdeckt sich ausgebreitet. Äußerlich ist es nicht zu erkennen, lässt sich nicht fixieren und festmachen. Es hat sich eingeschlichen wie eine Freundschaft zwischen zwei Teenager-Mädchen. Es kam so unverhofft, dass niemand damit gerechnet hat. Plötzlich ist es da und bringt Menschen zusammen, die sich vielleicht nie gesucht hätten und einander doch fanden.
Kathrin lernte durch mich eine Baptistengemeinde und Jesus kennen. Sie ließ sich einige Jahre später taufen und wir haben viele Herausforderungen miteinander durchgestanden, sind sagenhaft gescheitert, haben Feste gefeiert, mit Menschen Gemeinde gegründet und Reich Gottes zu den Ausgestoßenen unserer Gesellschaft gebracht. Wir haben miteinander das mit der bedingungslosen Liebe geübt. Wir sind aneinander schuldig geworden und haben uns tief verletzt. Wir haben Vergebung und Versöhnung gelernt und was Toleranz ganz praktisch heißt und kostet: Die andere in ihrem Anderssein wertzuschätzen und unterschiedliche Meinungen auszuhalten.
Reich Gottes ist kein fester Ort. Es ereignet sich zwischen Menschen, will gelebt werden und hängt am Ende doch nicht von uns Menschen allein ab. Gott sei Dank!
Ich habe Reich Gottes an unterschiedlichsten Orten gefunden und in Menschen, von denen ich es nicht erwartet habe. Diese überraschenden Begegnungen liebe ich. Sie zeigen mir, dass mit Gott überall zu rechnen ist und sein Reich keine Berührungsängste kennt. Es kann sich sogar zwischen zwei Menschen ereignen, die sich gar nicht mögen. Dank der Hartnäckigkeit einer Tante Anneliese.
Pastorin Elisabeth Denkers
Christuskirche Großhansdorf